"Der Weg zum Medizinprodukt - Teil 1": Die Idee - Qualifizierung als Medizinprodukt im europäischen Rechtsraum

In den vorangegangenen Blog-Artikeln haben Sie erfahren, welche rechtlichen Rahmenbedingungen für Medizinprodukte und medizinische Software in Europa (Europa Allgemein, Europa Software) und in den USA (USA Allgemein, USA Software) gelten. In diesem und den folgenden Artikeln möchten wir Sie schrittweise von der ersten Idee einer Software für medizinische Zwecke bis zum fertigen Medizinprodukt begleiten.

Die Qualifizierungsfrage: Stellt ihr Produkt ein Medizinprodukt dar?

Die Beantwortung dieser Frage stellt Hersteller von Produkten im Gesundheitsbereich regelmäßig vor eine Herausforderung. Ganz allgemein findet sich zu Medizinprodukten in der Richtlinie 93/42/EWG des Rates folgende Definition 1):

Medizinprodukt: alle einzeln oder miteinander verbunden verwendeten Instrumente, Apparate, Vorrichtungen, Stoffe oder anderen Gegenstände, einschließlich der für ein einwandfreies Funktionieren des Medizinprodukts eingesetzten Software, die vom Hersteller zur Anwendung für Menschen für folgende Zwecke bestimmt sind:
- Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten;
- Erkennung, Überwachung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen;
- Untersuchung, Ersatz oder Veränderung des anatomischen Aufbaus oder eines physiologischen Vorgangs;
- Empfängnisregelung,
und deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichenKörper weder durch pharmakologische oder immunologische Mittel noch metabolisch erreicht wird, deren Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden kann.

Diese Definiton klingt an sich zwar schlüssig und deckt zweifelsohne viele Software-Produkte ab, welche man rein intuitiv ohnehin bereits dem Medizinproduktesektor zugeordnet hätte. Beispiele hierfür sind Software-Systeme für die Telechirurgie oder für die Dosisplanung von Operationen - alles Produkte mit klar definierter medizinischer Zweckbestimmung. Wie aber sieht es nun mit Software-Systemen aus, welche in Produkte aus dem Wellnessbereich eingebettet sind? Ab wann ist ein Gesundheits- oder Fitnessapp der Medizinprodukterichtlinie zuzuordnen? Zur Beantwortung dieser Fragen dient primär natürlich die oben angeführte Definition. Aber verhütet eine Fitness-App im weitesten Sinn nicht auch Krankheiten? Grundvoraussetzung für die Beantwortung solcher und ähnlicher Fragen ist die Definition einer initialen Zweckbestimmung. Sie als Hersteller müssen definieren, wer das Produkt unter welchen Umständen an wem anwendet - und vor allem ob Ihr Produkt für medizinische Zwecke, beispielsweise Diagnosen oder Therapien, gedacht ist oder nicht.

In Zusammenhang mit der Zweckbestimmung und dem Marketing ihres Produkts gilt es allerdings auch einige wichtige Dinge zu beachten. So ist in der Medizinprodukterichtlinie folgendes festgehalten: 2):

Zweckbestimmung: Verwendung, für die das Produkt entsprechend den Angaben des Herstellers in der Etikettierung, der Gebrauchsanweisung und/oder dem Werbematerial bestimmt ist.

Sie sehen also, dass auch das Werbematerial, neben der Zweckbestimmung in der technischen Dokumentation, eine große Rolle spielen kann.

Haben Sie nun eine Zweckbestimmung für ihre Idee definiert, stellen im europäischen Rechtsraum zwei Medical Guidance Documents eine gute Anleitung dar, um die Eingangs gestellte Frage zu beantworten:

  1. MEDDEV 2.1/1 - Definitions of “medical devices”, “accessory” and “manufacturer“, sowie vor allem die
  2. MEDDEV 2.1/6 - Qualification and Classification of stand alone software

Das erste Dokument bringt einige wichtige Dinge auf den Punkt: so wird ab Seite 5 darauf hingewiesen, dass das allgemeine Verwalten von Patientendaten ein Produkt noch nicht als Medizinprodukt qualifiziert. Ein Beispiel dazu stellen einzelne Module eines Krankenhausinformationssystems dar, welche die Terminisierung oder Abrechnung unterstützen. Deutlich detaillierter widmet sich das Guidance Document 2.1/6 dieser Thematik. In diesem ist neben zahlreichen Beispielen auch ein Entscheidungsbaum zu finden. So stellt Software, welche medizinische Daten ausschließlich

  • archiviert,
  • speichert,
  • verlustfrei komprimiert,
  • kommuniziert
  • oder eine einfache Suche durchführt,

noch kein Medizinprodukt dar, selbst wenn diese Daten zur Diagnose durch medizinisches Personal herangezogen werden (beispielsweise elektronische Gesundheitsakten).

Auch hier wird eines abermals deutlich: eine Zweckbestimmung zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Produktentwicklung ist essentiell für die Qualifizierung als Medizinprodukt.

Bevor wir die Klassifizierung Ihres Medizinprodukts erläutern, werfen wir im nächsten Blogeintrag einen Blick auf die Beantwortung der Qualifizierungsfrage im amerikanischen Rechtsraum.

1)
Richtlinie 93/42/EWG, Art 1 (2) g
2)
Richtlinie 93/42/EWG, Art 1 (2) h
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