MDR Teil 4 - Klassifizierungsregeln MDR & RL 93/42/EWG im Vergleich Teil 2

Der letzte Blog-Artikel setzte sich mit den Rahmenbedingungen für die Anwendung der Klassifizierungsregeln auseinander und stellte dabei MDR & RL 93/42/EWG gegenüber. Der nun vierte Teil der MDR-Blog-Artikel-Reihe diskutiert die Klassifizierungsregeln an sich. In der Medizinprodukte-Verordnung sind die Klassifizierungsregeln in Anhang VIII zu finden - RL 93/42/EWG definiert die Klassifizierung von Medizinprodukten in Anhang IX.

Vorweg: Der risikobasierte Ansatz der Klassifizierung eines Medizinproduktes bleibt weiterhin bestehen (Risikoklassen I - III) Grundsätzliche Neuerungen & Aufbau der Klassifizierungsregeln

Auffällig ist in erster Linie, dass sich die Anzahl der Klassifizierungsregeln von 18 (RL 93/42/EWG) auf 22 (MDR) erhöht hat. Die Aufteilung der Klassifizierungsregeln in wesentliche Anwendungscharakteristika des Medizinproduktes ist dabei jedoch gleichgeblieben – Nicht invasive Produkte, Invasive Produkte, Aktive Produkte, Besondere Regeln.

Nicht invasive Produkte: Die Klassifizierungsregeln der Produkt-Kategorie “Nicht invasive Produkte” sind - im Vergleich zur RL 93/42/EWG - in der MDR ausführlicher definiert.

  • Regel 1 - gleichbleibend
  • Regel 2 - Die MDR nimmt in dieser Klassifizierungsregel nun auch die Durchleitung oder Aufbewahrung von Körperzellen mit auf und spricht nicht mehr von Perfusion - wie dies in der RL der Fall ist - sondern von Infusion. Im zweiten Unterpunkt der Klassifizierungsregel 2 definiert die MDR nun auch die Aufbewahrung von Körperzellen und -geweben und weist Blutbeutel - so wie dies RL 93/42/EWG in Klassifizierungsregel 18 tut - direkt die Risikoklasse IIb zu.
  • Regel 3 - Hier schließt die MDR nun auch die Veränderung der biologischen oder chemischen Zusammensetzung von menschlichen Geweben oder Zellen mit ein. Im Vergleich dazu, spricht die RL 93/42/EWG „nur“ von Veränderung des Blutes. Neu innerhalb dieser Regel der MDR ist auch, dass die Implantation oder auch die Verabreichung von Körperflüssigkeiten berücksichtigt wird. Ein im Vergleich zur RL vollkommen neuer Aspekt, der in diese Klassifizierungsregel Nr.3 mit einfließt, sind jene nicht invasiven Produkte, die aus einem Stoff oder einer Mischung aus Stoffen bestehen, die wiederum für den In-vitro-Gebrauch in unmittelbaren Kontakt mit dem menschlichen Körper entnommenen menschlichen Zellen, Geweben oder Organen oder für den In-vitro-Gebrauch mit menschlichen Embryonen vor derer Implantation oder Verabreichung in den Körper bestimmt sind. Diese nicht invasiven Produkte werden direkt der Risikoklasse III zugeordnet.
  • Regel 4 - Die Regel 4 der MDR Klassifizierungsregeln unterscheidet sich von jenen der MDR dadurch, dass auch bei deren „Unterregeln“ die Schleimhäute explizit mitaufgenommen werden. Obwohl Regel 4 in der Produktkategorie der “Nicht invasiven Produkte” angeführt ist, gilt diese Regel laut MDR auch für invasive Produkte, die mit verletzter Schleimhaut in Berührung kommen.

Invasive Produkte: Die Klassifizierungsregeln der Produkt-Kategorie der “Invasiven Produkte” erfährt in der MDR vor allem bei der Anwendung der Regel 8 wesentliche Neuerungen.

  • Regel 5 - gleichbleibend
  • Regel 6 - gleichbleibend
  • Regel 7 - Bei der die zur kurzzeitigen Anwendung bestimmten chirurgisch-invasiven Produkten betreffenden Klassifizierungsregel gibt beim Vergleich zwischen RL & MDR zwei Unterschiede. Zum einen gibt es in der MDR nun anstelle von fünf, sechs Unterregel. Dies rührt daher, dass Unterregel Nr.5 der RL thematisch aufgesplittet wurde in Produkte die im Körper eine chemische Änderung erfahren und Produkte zur Arzneimittelabgabe. Zum anderen gibt es in der fünften Unterregel der MDR bei den Produkten, die im Körper eine chemische Veränderung erfahren eine Erhöhung der Risikoklassen von IIb auf III.
  • Regel 8 - Diese Klassifizierungsregel adressiert sowohl implantierbare Produkte, als auch zur langzeitigen Anwendung bestimmte chirurgisch-invasive Produkte. Vergleicht man RL & MDR, so gibt es bei der MDR nun neun, anstelle von fünf Unterregeln. Alle vier neu hinzukommenden Unterregeln spezifizieren Medizinprodukte, die der Medizinprodukte-Klasse III zuzuordnen sind:
  1. Aktiv implantierbare Produkte und dessen Zubehör
  2. Brustimplantate und chirurgische Netze
  3. Total- oder Teilprothesen von Gelenken (Zubehörkomponenten wie Schrauben, Keile, Platten und Instrumenten ausgenommen).
  4. Implantate zum Ersatz der Bandscheibe und implantierbare Produkte, die mit der Wirbelsäule in Berührung kommen (Zubehörkomponenten wie Schrauben, Keile, Platten und Instrumenten ausgenommen).

Aktive Produkte: Mit den Klassifizierungsregeln der Produkt-Kategorie “Aktive Produkte” wird in der MDR Software explizit einer eigenen Regel zugeordnet.

  • Regel 9 - Im Vergleich zur RL, listet die MDR innerhalb dieser Klassifizierungsregel zwei zusätzlich Produkt-Gruppen mit auf. Zum einen definiert sie aktive Produkte, die zum Aussenden ionisierter Strahlung für therapeutische Zwecke bestimmt sind - inkl. jener Komponenten, die solche Produkte steuern und deren Leistung beeinflussen - als Medizinprodukte der Klasse IIb. Zum anderen adressiert die MDR in dieser Regel erstmals explizit Produkte, die dazu bestimmt sind, die Leistung von aktiven implantierbaren Produkten zu steuern, zu kontrollieren oder direkte zu beeinflussen und weist diesen die Risikoklasse III zu.
  • Regel 10 - Bei der Regel für aktive Produkte mit Diagnose- und Überwachungszweck spricht die MDR im Vergleich zur RL in der ersten Unterregel nicht mehr von Absorption von Energie des menschlichen Körpers, sondern von Resorption. Des weiteren werden in dieser ersten Unterregel der MDR nun Produkten, die dazu bestimmt sind, den Körper des Patienten im sichtbaren Spektralbereich auszuleuchten direkt der Risikoklasse I zugeordnet. In der dritten Unterregel der Klassifizierungsregel 10 erweitert die MDR die Definition der direkten Diagnose oder Kontrolle um jene Diagnosen in klinischen Situationen, in denen der Patient in unmittelbarer Gefahr schwebt - IIb.
  • Regel 11 - Mit der Klassifizierungsregel 11 in der MDR kommt es zu der offensichtlichsten Neuerung im Hinblick auf den Verglich zwischen RL 93/42/EWG und MDR. Die MDR geht bei dieser Regel explizit auf Software ein. Software, die dazu bestimmt ist, Informationen für diagnostische oder therapeutische Zwecke bereitszustellen werden der Risikoklasse IIa zugordnet. Sobald diese Informationen bzw. die daraus abgeleiteten Entscheidungen jedoch schwerwiegenden Einfluss auf die Gesundheit des Patienten (Tod oder irreversible Verschlechterung des Gesundheitszustandes) haben können, werden sie der höchsten Risikoklasse - III - zugeordnet. Kommt es aufgrund des Software-Einsatzes “nur” zu einer Verschlechterung (reversibel) des Gesundheitszustandes des Patienten, wird dem SW-Produkt die Risikoklasse IIb zugeordnet. Im letzten Absatz dieser Klassifizierungsregel definiert die MDR die für die Kontrolle von physiologischen Prozessen eingesetzte Software als Medizinprodukt der Klasse IIa - es sei denn, diese Kontrolle spezialisiert sich auf Vitalparameter, in diesem Fall kommt die Risikoklasse IIb zum Tragen. Alle anderen Software-Produkte / Software-Komponenten, die nicht in die oben angeführten Bestimmungen fallen, werden der Risikoklasse I zugeordnet.
  • Regel 12 - Klassifizierungsregel 12 der MDR ist mit Regel 11 der RL gleichzusetzen.
  • Regel 13 - Klassifizierungsregel 13 der MDR ist mit Regel 12 der RL gleichzusetzen.

Besondere Regeln: Die letzte Kategorie der Klassifizierungsregeln repräsentieren die sogenannten “Besonderen Regeln”. Vergleicht man RL 93/42/EWG und MDR, so gibt es in dieser Klassifizierungskategorie die größten Unterschiede.

  • Regel 14 - Regel 14 der MDR ist mit Regel 13 der RL weitestgehend gleichzusetzen. Diese Regel weist Produkten, zu deren Bestandteilen ein Stoff gehört, der für sich alleine genommen als Arzneimittel zu definieren ist, die höchst Risikoklasse zu - III. Die MDR definiert diese Regel etwas ausführlicher und nimmt auch Arzneimittel aus menschlichem Blut oder Gewebe mit auf.
  • Regel 15 - Regel 15 der MDR ist mit Regel 14 der RL gleichzusetzen.
  • Regel 16 - Regel 16 der MDR ist Großteils mit Regel 15 der RL zu vergleichen. Die MDR nimmt bei den Produkten, die speziell zum Desinfizieren von Medizinprodukten vorgesehen sind, auch die Sterilisation mit auf. Desinfektionslösungen oder auch Reinigungs-Desinfektionsgeräte schließt die MDR aus dieser Regel explizit aus.
  • Regel 17 - Regel 17 der MDR ist mit Regel 16 der RL gleichzusetzen.
  • Regel 18 - Diese Regel der MDR ist nur mehr in sehr geringem Ausmaß mit Regel 17 der RL 93/42/EWG gleichzusetzen. Die MDR nimmt in diese Regel nun auch nicht lebensfähige oder abgetötete Gewebe oder Zellen sowohl menschlichen, als auch tierischen Ursprungs mit auf.

Die nun folgenden Klassifizierungsregeln - 19-22 - sind nur mehr in der MDR zu finden. Die RL 93/42/EWG beendet ihre Klassifizierungsregeln mit Regel 18 und der Definition, dass Blutbeutel der Klasse IIb zuzuordnen sind.

  • Regel 19 - Diese Regel dient der Klassifizierung von Produkten, die Nanomaterial enthalten oder daraus bestehen. Die Zuordnung der Risikoklassen geht hierbei von IIa - III, basierend auf dem Schweregrad der möglichen internen Exposition der Nanomaterialien.
  • Regel 20 - Regel 20 der MDR definiert invasive Produkte im Zusammenhang mit Körperöffnungen - außer chirurgisch invasiven Produkten - die für die Verabreichung von Arzneimitteln durch Inhalation bestimmt sind als Medizinprodukte der Klasse IIa - außer im Behandlungsfall lebensbedrohlicher Umstände, in diesem Fall werden sie der Klasse IIb zugeordnet.
  • Regel 21 - Regel 21 der MDR klassifiziert Produkte, die aus Stoffen oder Kombinationen von Stoffen bestehen, die dazu bestimmt sind durch eine Körperöffnung in den menschlichen Körper eingeführt oder auf die Haut aufgetragen zu werden, und die vom Körper aufgenommen oder lokal im Körper verteilt werden. In diesem Fall werden diese Produkte den Risikoklassen IIa - III zugeordnet, anhängig von anatomischer Lokalisation des bestimmungsgemäßen Gebrauches.
  • Regel 22 - Die letzte der Klassifizierungsregeln dient der Klassifizierung von aktiven therapeutischen Produkten mit integrierter oder eigebauter diagnostischer Funktion, die das Patientenmanagement bestimmen - wie etwa geschlossene Regelsysteme oder automatische externe Defibrillatoren.

Das gesamte RnB-Team möchte sich an dieser Stelle bei Herrn Armin Gärtner bedanken. Herr Gärtner hat uns netterweise auf die richtlinienkonforme Schreibweise der “CE-Kennzeichnung” aufmerksam gemacht. “CE-Kennzeichen” oder “CE-Zeichen” - wie urspünglich in diesem Blog-Artikel definiert - entspricht nicht der korrekten Definition laut RL 93/42/EWG und MDR.

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